kurz.im9today.geschichten
Verfasst: Fr 23. Okt 2009, 11:23
Samt
„Wie fühlt sich Samt an?“
Hier saß sie also, den kirschroten Samt zwischen den Fingern und sah mich unschuldig an. Mein Verständnis für ihre Fragen war schon längst verwirkt.
An fast jeden ihrer Sätze reihte sich ein Fragezeichen; sie wollte die Welt fühlen und erleben und schaffte sich dies mit Sprache.
„Normal.“
Sie schloss die Augen.
„Achso, verstehe.“
Nein, sie verstand nicht. Wie sollte sie auch? ‚Normal’ hatte sie nie kennengelernt.
„Wie ist es, im Gras zu rollen?“
Ich weinte.
Ich hasste sie dafür.
„Brüderchen, wieso bist du traurig?“
Hör auf, hör auf, hör auf!
Ich ertrage es nicht mehr.
Weiße Augen, Kalte Hände und kein einziges Mal ihr Zimmer verlassen. Meine Schwester ist schon lange tot.
Schweigen. Stille. Einzigst gestört durch mein leises Schluchzen.
„Bitte, spielst du mir ein Lied auf deiner Geige vor?“
Ton war das einzige das sie noch hatte; sie konnte nicht riechen, nicht spüren, nicht fühlen – psychisch, sowie physisch ermattet saß sie regungslos in ihren Rollstuhl.
„Was mach ich, wenn auch dein Gesicht gelähmt ist und du nicht mehr Fragen stellen kannst?“ Ich fragte sie dies leise, kaum hörbar.
Sie lächelte.
„Ach, Brüderchen... was stellst du denn für fragen? Ich würde viel lieber wissen, wie sich Samt anfühlt.“
Ihr wirrer Blick verlor sich während sie sprach. Sie konnte mich nicht ansehen, ihr Augenlicht war bereits erloschen.
„Du wirst sterben, wenn nicht heute, dann morgen.“ Ich konnte ihre kindliche Naivität nicht ertragen, mit der sie ihre letzten Stunden verbrachte.
Schweigen.
Sie liebte das Geräusch, wenn jemand über Samt strich. Es legte sich wie eine zärtliche Hand auf ihre abgestorbene Haut und ließ sie fühlen.
Ich hatte ihre Zimmer vollkommen mit Samt ausgelegt. Die Wände, der Boden und auch ihre Kleidung. Ich wollte, dass sie glücklich ist.
„Samt fühlt sich angenehm an, ein bisschen weich.“ Antwortete ich ihr. „Doch noch viel lieber mag ich das Geräusch, welches man macht, wenn man darüberstreicht.“ Ich streichelte sie vorsichtig. Auch wenn sie es nicht spüren konnte, so hörte sie diesen vertrauten Ton.
Samt.
In diesem Moment lächelte sie ein letztes Mal. Ein letztes Mal für heute. Ein letztes Mal für immer.
Gute Nacht, Bruder. Gute Nacht, Schwester.
„Wie fühlt sich Samt an?“
Hier saß sie also, den kirschroten Samt zwischen den Fingern und sah mich unschuldig an. Mein Verständnis für ihre Fragen war schon längst verwirkt.
An fast jeden ihrer Sätze reihte sich ein Fragezeichen; sie wollte die Welt fühlen und erleben und schaffte sich dies mit Sprache.
„Normal.“
Sie schloss die Augen.
„Achso, verstehe.“
Nein, sie verstand nicht. Wie sollte sie auch? ‚Normal’ hatte sie nie kennengelernt.
„Wie ist es, im Gras zu rollen?“
Ich weinte.
Ich hasste sie dafür.
„Brüderchen, wieso bist du traurig?“
Hör auf, hör auf, hör auf!
Ich ertrage es nicht mehr.
Weiße Augen, Kalte Hände und kein einziges Mal ihr Zimmer verlassen. Meine Schwester ist schon lange tot.
Schweigen. Stille. Einzigst gestört durch mein leises Schluchzen.
„Bitte, spielst du mir ein Lied auf deiner Geige vor?“
Ton war das einzige das sie noch hatte; sie konnte nicht riechen, nicht spüren, nicht fühlen – psychisch, sowie physisch ermattet saß sie regungslos in ihren Rollstuhl.
„Was mach ich, wenn auch dein Gesicht gelähmt ist und du nicht mehr Fragen stellen kannst?“ Ich fragte sie dies leise, kaum hörbar.
Sie lächelte.
„Ach, Brüderchen... was stellst du denn für fragen? Ich würde viel lieber wissen, wie sich Samt anfühlt.“
Ihr wirrer Blick verlor sich während sie sprach. Sie konnte mich nicht ansehen, ihr Augenlicht war bereits erloschen.
„Du wirst sterben, wenn nicht heute, dann morgen.“ Ich konnte ihre kindliche Naivität nicht ertragen, mit der sie ihre letzten Stunden verbrachte.
Schweigen.
Sie liebte das Geräusch, wenn jemand über Samt strich. Es legte sich wie eine zärtliche Hand auf ihre abgestorbene Haut und ließ sie fühlen.
Ich hatte ihre Zimmer vollkommen mit Samt ausgelegt. Die Wände, der Boden und auch ihre Kleidung. Ich wollte, dass sie glücklich ist.
„Samt fühlt sich angenehm an, ein bisschen weich.“ Antwortete ich ihr. „Doch noch viel lieber mag ich das Geräusch, welches man macht, wenn man darüberstreicht.“ Ich streichelte sie vorsichtig. Auch wenn sie es nicht spüren konnte, so hörte sie diesen vertrauten Ton.
Samt.
In diesem Moment lächelte sie ein letztes Mal. Ein letztes Mal für heute. Ein letztes Mal für immer.
Gute Nacht, Bruder. Gute Nacht, Schwester.